Rengar fühlte sich wieder wie gelähmt. Das Einhorn hatte ein Besitzer. Ein Besitzer in einer schwarzen Rüstung. Das war sicherlich ein schlechtes Omen und Rengar würde gut daran tun in seinem Versteck zu bleiben.
Weder Einhorn noch Reiter schienen ihn bemerkt zu haben und ritten geradewegs an seinem Versteck vorbei. Als sie vorbeiritten konnte Rengar sehen, dass in dem Visier des Ritters ebenfalls eine Feuer zu brennen schien, ebenso wie in den Augenhöhlen des Einhorns. Was war mit ihnen geschehen, fragte sich Rengar, aber er würde sicherlich nicht nachfragen und sicherlich auch nicht versuchen es rauszufinden. So blieb er noch einige Zeit in seinem Versteck bis er wieder hervorkroch.
Als er wieder stand und sich seine Kleider abklopfte bemerkte er, dass der Ritter in Richtung seines Dorfes geritten ist. War Pützen etwa in Gefahr? Er musste sofort zurück und das Dorf warnen. Von hier aus waren es vielleicht vier Meilen bis zum Dorf und er würde zu Fuß bestimmt fast eine Stunde brauchen, selbst wenn er sich beeilte, aber er hatte keine andere Wahl.
So machte er sich auf den Weg sein Dorf zu warnen, aber er musste vorsichtig sein um nicht plötzlich vor dem Ritter und dem Einhorn zu stehen, falls sie doch nicht nach Pützen ritten und vielleicht irgendwo im Wald ihr Lager aufschlugen, denn inzwischen fing der Himmel bereits an sich zu verdunkeln.
Nach etwa zwei Meilen Weg, den er zwar vorsichtig aber auch relativ zügig hinter sich brachte, erreichte er den Waldrand und konnte Pützen schon in der Ferne sehen. Zwischen ihm und dem Ort lagen nur noch einige Felder und ein kleiner Wasserlauf, die Kose, bei der die Bezeichnung Fluss übertrieben gewesen wäre.
Auf den Feldern wurde Getreide angebaut um Brot daraus zu machen. Sie wurden mit Wasser aus der Kose versorgt, wenn die Sommer zu wenig Regen brachten. Außerdem gab es noch einige Hopfenfelder, die zur Bierbrauerei angelegt wurden. Näher am Dorf lagen dann einige Stallungen und Koppeln für Pferde, denn obwohl das Dorf nur wenige Einwohner hatte, war es berühmt für die „Pützener Windjäger“, eine der schnellsten Pferderassen auf Waldmahr.
Langsam wurde es immer dunkler und es würde gewiss nicht mehr lange dauern und er würde das Dorf, im Schein von Fackeln, erhellt sehen.
Das Dorf schien noch nicht in Alarmbereitschaft zu sein. Eine Tatsache, die wenigstens etwas von seinem unguten Bauchgefühl minderte. Der Ritter, wenn er denn böses im Schilde führte, schien es doch nicht auf das Bauerndorf abgesehen zu haben oder zumindest noch nicht.
Wie von einer Last befreit ging Rengar den Weg weiter, vorbei an Getreidefeldern und einigen kleineren Brunnen, die jedoch kaum mit Wasser gefüllt waren.
An einem Brunnen blieb er stehen. Nach einem solch anstrengenden Tag war er durstig und spähte deshalb in den Brunnen.
In etwa sechs Schritt Tiefe konnte er, obwohl es schon relativ dunkel wurde, das Wasser sehen, wie es den Himmel mithilfe des letzten Tageslichts spiegelte. Aber wie sollte er dort rankommen? Einen Schöpfeimer gab es hier nicht, denn wenn die Bauern nicht auf den Feldern waren, nahmen sie alles von Wert mit und aus so einem Schöpfeimer könnte ein Schmied sicherlich auch ein Schwert herstellen, wenn man keine sonderliche robuste Klinge erwartete. Also gab es hier keinen Eimer. Aber er war ein Jäger und als solcher gab er sich nicht damit ab, keinen Eimer zu haben. Er dachte kurz nach und dann fiel ihm seine leere Feldflasche ein, die er immer noch am Gürtel trug. Er löste sie vom Gürtel und dachte dann daran, wie er es schaffen sollte die Feldflasche wieder hoch zu bekommen, denn sie runter zu werfen war ja keine sonderlich schwere Angelegenheit.
Rengar schaute zum Dorf. Er hatte noch einige Schritt vor sich und er hatte jetzt Durst. Er wollte nicht warten bis er im Dorf war.
Der Jäger sah an sich hinab und schon hatte er die nächste Idee. Er war nur froh, dass er alleine hier draußen war.
Rengar entledigte sich seiner Hose und seiner Lederweste, die er über ein Leinenhemd trug. Er band sie zusammen und knotete an das Ende seinen Gürtel. Er steckte die Feldflasche nun wieder an die Schlaufe an seinen Gürtel, die eigens für die Feldflasche war und warf die Flasche hinab, seine Hose in der Hand haltend. Rengar hörte ein platschen. Seine Idee hatte also funktioniert. Er schwenkte seine Hose nun etwas hin und her, damit die Flasche sich besser mit Wasser füllen konnte. Nach kurzer Zeit zog er sie dann wieder nach oben. Seine Weste und seine Hose waren, wie er sich erhofft hatte, trocken geblieben und die Feldflasche war zu etwa einem Drittel gefüllt. Er trank gierig und als die Flasche leer war, warf er sie ein weiteres Mal in den Brunnen. Rengar wiederholte dieses Vorgehen noch zwei Mal, bis sein Durst gestillt war und dann warf er die Flasche noch ein letztes Mal hinein um wenigstens etwas Wasser für den weiteren Weg bei sich zu haben.
Er knotete seine Sachen wieder auseinander und zog sich wieder an. Während er sich anzog dachte er darüber nach, was sein würde wenn er nach Pützen kommt. Er würde erst einmal zum Rathaus gehen und den Rat von seinen Erlebnissen berichten, denn sie würden sicherlich besser wissen, wie der dunkle Ritter und das blutrünstige Einhorn einzuordnen wären. Immerhin waren sie die weisesten Männer des Dorfes und was sie sagten, traf bisher so gut wie immer zu.
Einmal rieten sie den Bauern einen Monat vor der eigentlichen Erntezeit, alles zu ernten, was man verzehren konnte und was geschah? Einige Tage nachdem alles geentert war, obwohl es einen Monat zu früh war, fing es wie aus heiterem Himmel an zu hageln, was das Getreide nicht überstanden hatte.
Manchmal wünschte er sich einer von ihnen zu sein. Weise und vor allem anerkannt. Sicherlich er war der Jäger, zu dem die Leute kamen um sich Felle für die verschiedensten Dinge zu kaufen. Mäntel, Decken, was auch immer, aber wirklich anerkannt war er nicht. Schuld daran war vermutlich seine Vergangenheit, die jeder Neuankömmling, sobald er nach Pützen kam, preisgeben musste, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Na ja seine Vergangenheit war nicht unbedingt die schönste gewesen.
Eigentlich kam er aus Zinz, einem Dorf circa fünfzig Meilen nördlich von Pützen. Damals schon arbeitete er als Jäger, aber damals hatte er eine Frau. Jolinde, sie war nicht sehr groß, hatte dunkle Haare und relativ blasse Haut, aber sie gefiel ihm vom ersten Augenblick an. Nach zwei Jahren Ehe aber, schien er ihr nicht mehr so gefallen zu haben. Sie hatte zumindest einen Liebhaber. Rengar wusste damals von alledem nichts, bis er eines Tages nach Hause kam, ein Reh als Beute über die Schulter tragend. Da war sie gerade mit ihm zugange. Er lag auf ihr drauf und sie lag stöhnend da, ihre Hände durch seine Haare streichend. Sein Name war Hagen. Rengar erkannte ihn sofort. Er war einer der Söhne Liols, dem Bürgermeister von Zinz und seitdem Rengar denken konnte, hatte Hagen ihn nur verspottet. Hagen hielt sich immer für etwas Besseres und nun lag er auf seiner Frau. Er hasste ihn schon immer, aber in dem Moment hasste er ihn so abgrundtief, dass er nicht anders konnte. In seiner Wut packte er damals das Ausnehmmesser, welches er sonst zum Ausnehmen von Tieren benutzte und stach auf Hagen ein, bis dieser einem blutigem Sieb ähnelte.
Er flüchtete Richtung Süden, da er gehört hatte, dass in Pützen, zwar die Vergangenheit anzugeben sei, aber dort nicht nach ihr gerichtet werden würde. Zumindest nicht vom Dorfrat, aber natürlich sprach sich seine Geschichte schnell rum und die Bürger brachten ihm das verdiente Misstrauen entgegen.
In seinen bisher drei Jahren in Pützen, hatte er sich jedoch nichts zuschulden kommen lassen, aber die Vergangenheit schien trotz allem wie ein dunkler Schatten über ihm zu schweben.
Angezogen und mit gestilltem Durst wollte er gerade weitergehen, als er ein Geräusch hört, welches sich sehr nach einem Pferd in Panik anhörte.
Er drehte sich um und sah ein Gaul, genauer gesagt ein „Pützener Windfänger“ in seine Richtung galoppieren. Es schien als hätte das Pferd etwas auf dem Rücken, was ihm die ganze Zeit in die Flanke hieb.
Der Gaul kam immer Näher und nun erkannte Rengar, dass das Pferd Zaumzeug umhatte und er erkannte, dass auf dem Rücken anscheinend jemand lag, an dessen Arm ein Brett mit einem Nagel festgebunden war. Dieses Brett schlug im Takt des Ritts immer wieder in die Flanke des Pferdes, es antreibend, damit es, außer wenn es vor Erschöpfung zusammen brechen sollte, nicht wieder anhalten würde.
Es kam näher und es schien, als wenn der Pützener Windfänger nicht versuchen würde Rengar auszuweichen, sondern eher als wenn es versuchen würde ihn zu rammen. Vielleicht nahm das Tier in seiner Panik den Jäger nicht wahr, der dort stand und wie gebannt auf das Pferd schaute.
Nur noch wenige Schritt und Rengar reagierte so schnell er konnte. Er warf sich zur Seite und im Fall versuchte er die Hand des Reiters zu fassen. Er bekam sie tatsächlich in die Hände und zerrte ihn somit vom Pferd runter. Der Gaul galoppierte in blinder Panik weiter, während sein Reiter, der eben noch aufm ihm gelegen hatte zu Boden stürzte. Das Brett, welches mit Stoff an seinem Handgelenk befestigt war, löste sich und fiel neben den Reiter zu Boden. Es war voll Blut und Fellresten des Gauls.
Der Jäger rappelte sich wieder auf und ging auf den Reiter zu, der ohne eine Bewegung, ohne ein Zucken, ohne Lebenszeichen, mit dem Rücken gen Himmel gerichtet, auf dem Feldweg lag.
Der Umhang des Unbekannten zeigte das Zeichen Pützens. Es war also jemand aus dem Dorf. Rengar ging einige Schritte näher und konnte den Reiter nun zur Seite drehen.
Es war Elsgar. Es war der Bote Pützens. Er ritt oft Richtung Norden um mit den umliegenden Dörfern Handelsverträge und ähnliches zu unterzeichnen.
Er war tot. Seine Kehle war ihm aufgeschlitzt worden, doch das schien schon länger her zu sein, da die Wunde nicht mehr blutete. Rengar sah die Bilder des toten Rehs wieder vor seinen Augen.
Er hatte zwar schon viele Tiere ausgenommen, aber trotz allem musste er nun seine Übelkeit überwinden.
Ein Einhorn hatte dies sicherlich nicht getan. Solch eine Präzision könnte es nicht haben, außerdem wäre der Reiter auf dem Pferd zu hoch gewesen, als dass ein Einhorn mit dem Horn an die Kehle des Mannes gekommen wäre. Es war die Handschrift einer Klinge. Ob kurze oder lange Klinge konnte Rengar nicht einordnen, dafür besaß er zu wenig Kenntnisse über Schwerter.
Rengar überlegte, ob er den Mann auf seinen Schultern zum Dorf tragen sollte oder es lassen sollte, da er selbst inzwischen ziemlich müde war und nach diesem Tag konnte es nicht schaden das Dorf möglichst schnell in Alarmbereitschaft zu setzen, aber zum anderen war es nicht mehr weit bis nach Pützen und er würde sicherlich nicht allzu viel Zeit verlieren, wenn er Elsgar auf seine Schultern nehmen würde und ihn zum Dorf bringen würde. Außerdem wäre die Chance, dass sein Kadaver hier draußen wilden Tieren als Nahrung dienen würde nicht so gering, wie manche Pützener gerne glauben würden, denn in den Getreidefeldern verlief sich ab und an schon mal ein Keiler oder ein anderes Tier.
Der Jäger beschloss den Boten nicht zurück zu lassen und bückte sich, um die Leiche hoch zu hieven, doch als er den Mann anhob, erkannte er, dass er ein Zeichen auf seinen Wams hatte, welches ihm zuvor, aufgrund der Dunkelheit, die inzwischen herrschte, nicht aufgefallen war. Er ließ den Boten wieder zu Boden sinken und betrachtete es sich genauer. Es war ein Zeichen, welches aus Blut zu bestehen schien. Flammen schossen aus den Augen eines Einhorns, welches Austrat und dabei auf zwei gekreuzten Schwertern zu stehen schien. Rengar war erstaunt ob der künstlerischen Fähigkeit der Person, die das Zeichen mit Blut auf einen Wams gemalt hatte. Das Zeichen sah aus als wäre es aus der Hand eines großen Künstlers geformt worden. Das Blut schien nicht verlaufen zu sein und auch das Einhorn und die Schwerter waren ohne Probleme zu erkennen. Eine Person mit solch einer Begabung und doch ein Mörder?
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So take those fingers tape 'em up
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"Was ihn am meisten verdroß,
war die Tatsache,
dass er andauernd gefragt wurde,
warum er so verdroßen gucke."
Per Anhalter durch die Galaxys
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