Da ich ständig die Meldung erhalte ich solle meine Nachricht auf 12345 Zeichen reduzieren, hier meine Geschichte "DER WIRT" in mehreren Teilen:
Der Nebel und die Nacht verhüllten die Häuser, als der Wirt aus dem Fenster und auf die von Wagenrädern zerfurchte Straße sah. In der hintersten Ecke seiner ansonsten menschenleeren Schänke, neben den glühenden Resten eines erloschenen Kaminfeuers saß eine junge Familie, zusammengekauert und mit verschreckten Gesichtern. Die Mutter, sie mochte ihr zwanzigstes Lebensjahr gerade vollendet haben, umschlang mit festem Griff die Schultern ihrer beiden Söhne. Sie waren zu jung um zu begreifen was vor sich ging, doch auch in ihren Augen stand die Angst geschrieben.
Der Vater saß wimmernd neben ihnen, den Blick auf seine Hand gerichtet, welche sich, zitternd und blutend, langsam immer mehr verkrampfte. Er hatte bei der Verteidigung seiner Familie zwei Finger einbüßen müssen.
Der Wirt schaute ein weiteres Mal gehetzt auf die Straße, den Schaft seines alten Schwertes so fest in seiner Hand, dass die Knöchel weiß wurden.
Auf der Straße war es still, kein Tier der Nacht ließ seinen Laut vernehmen, kein Wind die Blätter der Bäume rascheln, die einzigen Geräusche die zu hören waren, waren Schritte.
Schritte von Menschen auf der Straße, Schritte von Menschen im Nebel, Schritte von den Bewohnern einer ganzen Stadt oder von dem was von ihnen übrig war.
Es hatte keinen ganzen Tag gedauert.
Am Morgen ist das Übel in das Dorf gekommen, es trieb hinein und wurde vom Sohn des Müllers entdeckt. Ein toter Mann schwamm an der Wasseroberfläche des ruhigen Flusses, an dessen Ufern die Häuser der Altstadt standen. An der alten Wassermühle wurde er hinausgefischt, von Treibgut und Unrat befreit, der sich an seinem Körper gesammelt hatte und ein Priester wurde gerufen, die Beisetzung vorzubereiten.
Es war nicht ungewöhnlich, dass ein lebloser Mensch angespült wurde, so etwas kam vor.
Opfer eines Überfalls, Krieger, unvorsichtige Trinker, die Nachts auf Brücken ausrutschten und ertranken, all das kam irgendwann wieder an die Oberfläche, doch dieser Mann war insofern die Gerüchte wert, die sich in der Stadt verbreiteten, als das er in reiche Gewänder gehüllt war und Schmuck getragen haben soll, welcher jedoch, schon kurz nachdem er aus dem Wasser gezogen worden war, nicht mehr aufzufinden war.
Der Priester erkannte auf den ersten Blick, dass dieser Mann von Wildtieren getötet wurde.
Seine Kleidung war zerfetzt und er hatte blutige Bisswunden am ganzen Körper, vor allem in die Schultern hatten sich die Tiere tief verbissen.
Warum dieser, vermutlich adelige, junge Mann jedoch alleine und ohne Schutz in den Wald gegangen war, dass wurde von allen Bewohnern der Stadt heiß diskutiert und einige, die ihn gesehen hatten, berichteten zudem noch bei einem Krug Bier von einem kalten Ausdruck in seinen Augen, der einem das Blut in den Adern stocken ließ.
Der Wirt machte sich keine Gedanken. Der Wirt mochte Gerüchte, denn meistens wurden sie in seinen vier Wänden und bei seinem Speis und Trank geschmiedet, und diese Geschichte erwies sich als besonders ertragreich. Schon am Morgen hatte er so viel eingenommen wie sonst an einem Tag.
Er schmunzelte in seinen Bart, als wieder eine Silbermünze in seine Tasche wanderte und dem runzligen Männchen, dem er einen Bierkrug reichte, zuhörte wie es sagte: „Ich habe gehört er sei ein Königssohn, der von einem Werwolf gebissen wurde…“
Bis zu diesem Zeitpunkt versprach es ein wunderbarer Tag für den Wirt zu werden, doch schon Sekunden darauf, die Kirchturmuhr hatte gerade zur zwölften Stunde geschlagen, änderte sich dies schlagartig.
Mit einem lauten krachen schwang die Schänkentür auf, das Gemurmel in der Gaststube verstummte, sofort und einige dutzend Augenpaare richteten ihren Blick aus ihrem rauchigen Inneren auf die Person in der Tür.
Es war ein junger Händler, der Wirt hatte nur einen Tag zuvor bei ihm ein paar Äpfel eingekauft und erkannte ihn wieder. Sein Gesicht war weiß wie Milch als er mit großen Augen in den Raum stierte, er zitterte am ganzen Körper.
Sein Blick huschte von einer Person zur nächsten, bis er schließlich den Wirt fokussierte.
Sofort drang die Furcht, die sein Gesicht ausdrückte, auch tief in dessen Knochen und sein Mark. Irgendetwas Schlimmes war passiert, irgendetwas, das seinen Tag ganz und gar vermiesen könnte.
Mit wankenden Schritten näherte sich der junge Mann dem Tresen, mit den Händen immer nach dem nächst besten Halt tastend. Sein Mund öffnete und schloss sich in unregelmäßigen Intervallen, als wolle er etwas sagen.
Die Stille in der Schänke war so drückend, dass niemand es sich auch nur traute sich zu räuspern und schließlich brachte der Händler ein paar Worte hervor: „Die Novizen…“, keuchte er, dann rollten seine Augen langsam nach Innen und er schlug hart mit dem Kinn auf die Tresenplatte als er zu Boden sank.
Einen Augenblick lang noch hing die Stille in der Luft, die sich ausgebreitet hatte, als würde sie sich weigern zu gehen, um mitzubekommen was als nächstes passiert, dann vernahm der Wirt das wohl schlimmste Geräusch, das ein Wirt sich vorstellen kann, das Geräusch von rückenden Stühlen und Füßen, die seine Schänke verließen.
Er hätte den am Boden liegenden Händler gerne geschlagen.
Stattdessen begab auch er sich vor die Tür.
Die Mittagssonne ließ ihn blinzeln. Als seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, tat er einen Schritt auf die Straße. Sie sah nicht ungewöhnlich aus, höchstens etwas leerer als sonst um diese Tageszeit. Er wollte gerade wieder die Schänke betreten, mit dem unguten Gefühl im Magen das ein völlig betrunkener Händler ihm seine gesamte Kundschaft verjagt hatte, da liefen zwei Stadtwachen, in ihren roten Wappenröcken und mit Hellebarden in der Hand, an ihm vorbei in Richtung Stadtmitte. Von Neugierde gepackt entschloss er sich die Schänke abzuschließen und den Wachen dorthin zu folgen, wohin vermutlich auch seine Kundschaft verschwunden war: zum Marktplatz.
In der Erwartung, diesen schon von weitem mit seinen Geräuschen von Marktschreiern, Straßenkünstlern, Barden und Händlern und seinen Gerüchen von Obst, Gewürzen, Fleisch und Käse, Süßwaren und Gebäck zu bemerken, ängstigte es ihn um so mehr, dass er heute nur die Rufe der Stadtwachen vernahm.
Er beschleunigte seinen Schritt und bog in die Maurerstraße ein, die zum Marktplatz führte, doch dort wo dieser sonst zu sehen war, versperrte an diesem Tag eine große Gruppe von Menschen die Sicht.
Eine ältere Frau, in dreckige Lumpen gehüllt, löste sich mit ihrem schmutzigen Kind aus der Menge und lief in seine Richtung. „Gehen Sie nicht dorthin!“, rief sie ihm zu, Entsetzen war in ihrer Stimme zu hören, „Sie sind alle verrückt geworden!“, dann rannte sie an ihm vorbei und zog das schluchzende Kind hinter sich her.
Einen Augenblick lang sah er ihr nach und überlegte ob er einer alten Bettlerin Glauben schenken sollte, dann setzte er seinen Weg fort.
Er bahnte sich einen Weg durch die Menschenmasse, doch erst als er hinter den Stadtwachen angekommen war, konnte er sehen was vor sich ging. Diese hatten einen Verteidigungsring rund um den gesamten Marktplatz gebildet, in dessen Mitte sich ein Bild des Grauens vor den Augen des Wirts ausbreitete.
Kopflose Männer mit klaffenden Wunden lagen leblos vor den Soldaten, während Menschen mit geschundenen Leibern und leerem Blick ziellos über den Platz schlurften, einige hatten blutige Stümpfe dort wo vorher Gliedmaßen waren, dutzende von ihnen fielen mit hohlem Stöhnen über die Wachen her und versuchten ihre geifernden Zähne in deren Fleisch zu rammen, in Bürgerkleidung gehüllte Personen mit aufgerissenen Brustkörben lagen am Boden und färbten Sand und Dreck auf dem Platz rot oder fielen in Raserei über andere ihrer Art her und die gesamte Szenerie lag unter dem Gestank von Blut und Tod.
Gerade erhob sich ein Unteroffizier der Stadtwache über seine Kameraden und verkündete laut, die Bürger sollten sich so schnell wie möglich in ihre Häuser begeben und Türen und Fenster fest verschließen, doch der Wirt hörte ihn nur wie aus weiter ferne, denn er war gebannt von dem Anblick einer Händlerin, deren linker Unterarm in der Mitte durchgebrochen war und nun im rechten Winkel herunterhing. Die Knochen hatten sich durch Fleisch und Haut gebohrt und ragten aus dem Arm, dessen untere Hälfte nun praktisch nur noch an einem fetzen Haut baumelte. Anstatt jedoch in Ohnmacht zu fallen oder zu schreien, nagte diese Frau an ihrer eigenen Wunde.
Angewidert drehte er sich weg und bekam grade noch zu sehen, wie der Unteroffizier von zwei dieser Bestien zu Boden gezerrt und bei lebendigem Leibe zerrissen wurde.
Sein schmerzerfüllter Schrei hallte über das Gelände und endete in einem erstickten Gurgeln.
Wenn sich die Stadtwache auch bisher gegen die unkontrollierten Angriffe hatte durchsetzen können, so geriet es in diesem Augenblick außer Kontrolle, da einige der Kreaturen den Ring mit einem einzigen großen Satz übersprangen und sich über die ungeschützten Bürger hermachten, welche das Schauspiel wie hypnotisiert verfolgt hatten.
Ein junger Mann direkt neben dem Wirt drehte sich mit panischem Blick zu ihm um, gerade wollte er etwas sagen, da riss der Mann die Augen noch weiter auf und zwei Klauen, eine davon bis auf die Knochen zerfleischt, brachen ihm mit einem Ruck das Genick.
Die Füße des Wirts gruben sich keine Sekunde später schon tief in den Unrat auf der Straße und er kam ins stolpern als seine Gedanken seine Beine endlich eingeholt hatten.
Er spürte den ganzen Weg über, dass diese Monster, seien es auch früher Menschen gewesen, nicht weit hinter ihm waren.
Als er endlich die Schänkentür erreichte, musste er seine zitternden Hände dazu zwingen, den Schlüssel nicht fallen zu lassen und während seine Gedanken sich überschlugen schaffte er es, das Schlüsselloch zu treffen und ihn umzudrehen.
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Er rutschte mit dem Rücken am Türholz auf den Boden und seufzte. Er wollte gar nicht wissen was eigentlich genau passiert war, er war nur erleichtert es geschafft zu haben, sie hatten ihn nicht erwischt.
Erst jetzt fiel ihm die Gestalt hinter seinem Tresen auf, und sofort stand er wieder auf seinen Beinen.
Es war der junge Händler, bei dem er noch einen Tag zuvor Obst gekauft hatte. Reglos stand er da, mit hängenden Schultern.
Seine Augen waren blutunterlaufen und stierten hohl in die Ferne, sein Gesicht hatte eine kalte Ausdruckslosigkeit, die das Herz des Wirts veranlasste, wieder in Alarmzustand und beinahe bis in seinen Hals zu springen.
Langsam bewegte er sich rückwärts. Sein Schwert lag unter dem Tresen und so tastete er nach dem nächst Besten: Ein tönerner Bierkrug.
In diesem Moment riss der Händler den Mund auf und stieß einen gurgelnden Schrei aus. Mit ausgestrecktem linkem Arm kletterte er über den Tresen. Der Wirt bemerkte an der Hand eine blau angelaufene und angeschwollene Bisswunde, doch obwohl sein Gedankengang einen Moment lang davon abgelenkt war, vergaß er nicht seine Waffe nach ihm zu schleudern.
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